Die dunkle Seite der Bürokratie
Hier ist er, der allerhöchstoffozielle Abschlussbericht, der -ich knickse und ziehe meinen Hut- von nun an dazu bestimmt sein wird, im Keller eines ehrenhaften Amtes zu verstauben.
Mein Ferienheim
Wenn sich einer dazu entschliesst, ein Jahr ins Ausland zu gehen, noch dazu nach Russland, dann sollte er bereits davor starke Nerven und überzeugende Erklärungen besitzen. Nachdem man ihn viele Male nötigte, sich zu erklären, muss er sich noch viele weitere Male mehr alberne Metaphern aus der Pflanzenwelt anhören: wachsen wirst du, und reifen, und Früchte tragen.
Rot vor Scham und seine Erklärungen in einer Art Automatismus vor sich hinbetend stolpert er letztendlich aus dem Land und wieder zurück, und sieht sich dann gezwungen, weitere unzählige Male Erlebnisberichte abzulegen.
Dies ist mein erster. Die Welt hält den Atem an und lauscht.
Das FSJ als Idee, ganz unabhängig von meinem Einsatzort, ist einzigartig und großartig, sowohl was den persönlichen Wert als auch die politische Geste angeht. Es ist, was den wenigsten auffällt, sehr viel bewundernswerter und selbstloser vom Staat, der es finanziell unterstützt, als von dem Freiwilligen selbst, der sich mit seinem Dienst ja doch persönliche Wünsche erfüllt, wie z.B. ins Ausland zu gehen, fremde Sprachen zu lernen usw.
Der Staat dagegen gibt Geld für eher abstrakte Zwecke aus, deren Erfüllung bezweifelt werden kann, für die Förderung des sozialen Bewusstseins, des Geschichtsbewusstseins, des Kulturaustausches, für Imagepflege.
Ob ich mich für den Staat gelohnt habe, das weiß weder er, noch ich, aber dass er danach so gar nicht fragt, das macht ihn mir äußerst sympathisch.
Von meiner Einsatzstelle kenne ich wenig mehr als den Namen, „miloserdie“, Barmherzigkeit. Als Organisation machte sich „Miloserdie“ wenig Ehre: über das Jahr hinweg gab es kaum Kontakt, sie schien nur als Adressenvermittler und Urlaubsantragsstempler zu fungieren, intensive Gespräche über Patienten und Arbeit fanden nie statt. Dass die Bindung zur Organisation so lose war, ist bedauerlich, beeinflusste die Arbeitszeit bei den Patienten aber in keiner Weise.
Die Zeit in den Haushalten erlebte ich als fast durchweg positiv. Ich wurde freundlich aufgenommen und spürte schon bald, dass ich ihnen wichtig war. Dennoch lässt sich daran zweifeln, ob wirklich den bedürftigsten Menschen geholfen wird. Viele der Sozialleistungen fallen ohnehin Veteranen des zweiten Weltkrieges und Invaliden einer höheren Klasse (bezeichnet die Schwere der Krankheiten) zu, sie erhalten oft eine Art Zusatzrente, Freikarten und verschiedene andere Vergünstigungen - und dann auch noch mich. Aber wie lebt man wohl in Russland mit der einfachen Rente?
Obwohl ich das Gefühl hatte, in eher wohlhabenden Haushalten zu arbeiten, wollte ich den Arbeitsplatz nicht wechseln, da ich auch hier offenbar helfen konnte und die Beziehung zu den Patienten bald so persönlich wurde, dass es unmöglich schien, sie zu verlassen.
Die Arbeit ergab für mich Sinn, auf persönlicher Ebene, obwohl es sicherlich bedürftigere Haushalte gegeben hätte.
Das Leben in der 20er-WG ist ein karikiertes Miniaturmoskau: viele Menschen in stilloser Umgebung auf kleiner Fläche. Die Konzentration der Freiwilligen hat Vor- und Nachteile. Vorteile vor allem für die Trägerorganisation, die auf diese Weise zentral Rügen und Informationen übermitteln kann. Nachteile vor allem für die Freiwilligen, die die Sprache lernen, ihre Ruhe haben wollen oder Klassenfahrten und die ihnen eigene Atmosphäre von jeher nicht ausstehen konnten.
Um von den Menschen, die so gerne von Reife und Horizonterweiterung sprechen, mit ebensolchen Komplimenten bedacht zu werden, begann ich mir das Fingernägelkauen in diesem Jahr abzugewöhnen. Wenn das kein Zeichen dafür ist, dass ich „geistig gewachsen“ bin, dann weiß ich auch nicht.
Mein Ferienheim
Wenn sich einer dazu entschliesst, ein Jahr ins Ausland zu gehen, noch dazu nach Russland, dann sollte er bereits davor starke Nerven und überzeugende Erklärungen besitzen. Nachdem man ihn viele Male nötigte, sich zu erklären, muss er sich noch viele weitere Male mehr alberne Metaphern aus der Pflanzenwelt anhören: wachsen wirst du, und reifen, und Früchte tragen.
Rot vor Scham und seine Erklärungen in einer Art Automatismus vor sich hinbetend stolpert er letztendlich aus dem Land und wieder zurück, und sieht sich dann gezwungen, weitere unzählige Male Erlebnisberichte abzulegen.
Dies ist mein erster. Die Welt hält den Atem an und lauscht.
Das FSJ als Idee, ganz unabhängig von meinem Einsatzort, ist einzigartig und großartig, sowohl was den persönlichen Wert als auch die politische Geste angeht. Es ist, was den wenigsten auffällt, sehr viel bewundernswerter und selbstloser vom Staat, der es finanziell unterstützt, als von dem Freiwilligen selbst, der sich mit seinem Dienst ja doch persönliche Wünsche erfüllt, wie z.B. ins Ausland zu gehen, fremde Sprachen zu lernen usw.
Der Staat dagegen gibt Geld für eher abstrakte Zwecke aus, deren Erfüllung bezweifelt werden kann, für die Förderung des sozialen Bewusstseins, des Geschichtsbewusstseins, des Kulturaustausches, für Imagepflege.
Ob ich mich für den Staat gelohnt habe, das weiß weder er, noch ich, aber dass er danach so gar nicht fragt, das macht ihn mir äußerst sympathisch.
Von meiner Einsatzstelle kenne ich wenig mehr als den Namen, „miloserdie“, Barmherzigkeit. Als Organisation machte sich „Miloserdie“ wenig Ehre: über das Jahr hinweg gab es kaum Kontakt, sie schien nur als Adressenvermittler und Urlaubsantragsstempler zu fungieren, intensive Gespräche über Patienten und Arbeit fanden nie statt. Dass die Bindung zur Organisation so lose war, ist bedauerlich, beeinflusste die Arbeitszeit bei den Patienten aber in keiner Weise.
Die Zeit in den Haushalten erlebte ich als fast durchweg positiv. Ich wurde freundlich aufgenommen und spürte schon bald, dass ich ihnen wichtig war. Dennoch lässt sich daran zweifeln, ob wirklich den bedürftigsten Menschen geholfen wird. Viele der Sozialleistungen fallen ohnehin Veteranen des zweiten Weltkrieges und Invaliden einer höheren Klasse (bezeichnet die Schwere der Krankheiten) zu, sie erhalten oft eine Art Zusatzrente, Freikarten und verschiedene andere Vergünstigungen - und dann auch noch mich. Aber wie lebt man wohl in Russland mit der einfachen Rente?
Obwohl ich das Gefühl hatte, in eher wohlhabenden Haushalten zu arbeiten, wollte ich den Arbeitsplatz nicht wechseln, da ich auch hier offenbar helfen konnte und die Beziehung zu den Patienten bald so persönlich wurde, dass es unmöglich schien, sie zu verlassen.
Die Arbeit ergab für mich Sinn, auf persönlicher Ebene, obwohl es sicherlich bedürftigere Haushalte gegeben hätte.
Das Leben in der 20er-WG ist ein karikiertes Miniaturmoskau: viele Menschen in stilloser Umgebung auf kleiner Fläche. Die Konzentration der Freiwilligen hat Vor- und Nachteile. Vorteile vor allem für die Trägerorganisation, die auf diese Weise zentral Rügen und Informationen übermitteln kann. Nachteile vor allem für die Freiwilligen, die die Sprache lernen, ihre Ruhe haben wollen oder Klassenfahrten und die ihnen eigene Atmosphäre von jeher nicht ausstehen konnten.
Um von den Menschen, die so gerne von Reife und Horizonterweiterung sprechen, mit ebensolchen Komplimenten bedacht zu werden, begann ich mir das Fingernägelkauen in diesem Jahr abzugewöhnen. Wenn das kein Zeichen dafür ist, dass ich „geistig gewachsen“ bin, dann weiß ich auch nicht.
daniela.russ - 2. Aug, 18:56